Hans und Sophie Scholl
und der Widerstandskampf der Weißen Rose

Widerstehen aus der Macht des Geistes

Das Böse dort angreifen, wo es am Mächtigsten ist...“

Die Kraft des Leides

Der Traum von Sophie Scholl

Literatur

Die Weisse Rose
Foto: © George (Jürgen) Wittenstein / akg-images
Hans Scholl, Student der Medizin und seine Schwester Sophie, Studentin der Biologie und Philosophie, waren wenige Tage zuvor, am 18. Februar 1943, in der Münchener Universität beim Auslegen von Flugblättern gegen das Nazi-Regime entdeckt, verhaftet und vom Volksgerichtshof unter seinem berüchtigten Präsidenten Freisler zum Tode verurteilt worden.
Mit ihnen starb am 22. Februar 1943 Christof Probst. Wenige Wochen später werden weitere Todesurteile gegen Mitglieder der Widerstandsgruppe »Weiße Rose« verhängt.

Die Geschwister Scholl und ihre Freunde im studentischen Widerstand hatten vom Sommer 1942 bis zu ihrer Verhaftung im Frühjahr 1943 sechs Flugblätter erstellt und verbreitet, in denen sie zum Widerstand gegen den nationalsozialistischen Terror aufriefen.
So heißt es im Flugblatt VI, dem letzten Flugblatt, das von Prof. Kurt Huber verfaßt wurde:
»Freiheit und Ehre! Zehn lange Jahre haben Hitler und seine Genossen die beiden herrlichen deutschen Worte bis zum Ekel ausgequetscht, abgedroschen, verdreht, wie es nur Dilettanten vermögen, die die höchsten Werte einer Nation vor die Säue werfen. Was ihnen Freiheit und Ehre gilt, das haben sie in zehn Jahren der Zerstörung aller materiellen und geistigen Freiheit, aller sittlichen Substanz im deutschen Volk genügsam gezeigt... Studentinnen! Studenten! Auf uns sieht das deutsche Volk! Von uns erwartet es, wie 1813 die Brechung des Napoleonischen, so 1943 die Brechung des nationalsozialistischen Terrors aus der Macht des Geistes.«

Für ihre Überzeugung waren Hans und Sophie und die anderen Mitglieder der Widerstandsgruppe »Weiße Rose« bereit, ihr Leben zu opfern.
Inge Aicher-Scholl, die Schwester von Hans und Sophie Scholl, beschreibt jene »letzte Stunde« vor der Hinrichtung, den Abschied der Eltern von ihren Kindern, in einer bewegenden Weise.
(Die Weiße Rose. Erweiterte Neuausgabe, Frankfurt 1993, S. 63. 63f.):
»Zuerst wurde ihnen Hans zugeführt. Er trug Sträflingskleider. Aber sein Gang, war leicht und aufrecht, und nichts Äußeres konnte seinem Wesen Abbruch tun. Sein Gesicht war schmal und abgezehrt, wie nach einem schweren Kampf. Er neigte sich liebevoll über die trennende Schranke und gab jedem die Hand. »Ich habe keinen Haß, ich habe alles, alles unter mir«. Mein Vater schloß ihn in die Arme und sagte: »Ihr werdet in die Geschichte eingehen, es gibt noch eine Gerechtigkeit« Darauf trug Hans Grüße an alle seine Freunde auf. Als er zum Schluß noch den Namen eines Mädchens (Anm.: seine Freundin Traute Lafrenz) nannte, sprang eine Träne über sein Gesicht, und er beugte sich über die Barriere, damit niemand sie sehe. Dann ging er, aufrecht, wie er gekommen war.«

Sophie Scholl
Foto: © Stadtarchiv Crailsheim, Sammlung Hartnagel
Darauf wurde Sophie von einer Wachtmeisterin herbeigeführt. Sie trug ihre eigenen Kleider und ging langsam und gelassen und sehr aufrecht. (Nirgends lernt man so aufrecht gehen wie im Gefängnis.) Sie lächelte, als schaue sie in die Sonne. Bereitwillig und heiter nahm sie die Süßigkeiten, die Hans abgelehnt hatte: »Ach ja, gerne, ich habe ja noch gar nicht Mittag gegessen«. Es war eine ungewöhnliche Lebensbejahung bis zum Schluß, bis zum letzten Augenblick. Auch sie war um einen Schein schmaler geworden, aber ihre Haut war blühend und frisch - das fiel der Mutter auf wie noch nie -, und tiefrot und leuchtend.
»Nun wirst du also gar nie mehr zur Tür hereinkommen«, sagte die Mutter. »Ach, die paar Jährchen, Mutter«, gab sie zur Antwort. Dann betonte auch sie, wie Hans, fest und überzeugt: »Wir haben alles, alles auf uns genommen«; und sie fügte hinzu: »Das wird Wellen schlagen«.
Das war in diesen Tagen ihr großer Kummer gewesen, ob die Mutter den Tod gleich zweier Kinder ertragen würde. Aber nun, da sie so tapfer und gut bei ihr stand, war Sophie wie erlöst. Noch einmal sagte die Mutter: »Gelt, Sophie: Jesus«. Ernst, fest und fast befehlend gab Sophie zurück: »Ja, aber du auch«. Dann ging auch sie - frei, furchtlos, gelassen. Mit einem Lächeln im Gesicht.

Kurz vor ihrer Hinrichtung werden Sophie Scholl, Hans Scholl und Christof Probst durch Vermittlung der Gefängniswärter noch einmal zusammengeführt. Gemeinsam rauchen sie ihre letzte Zigarette.
»Es waren nur ein paar Minuten, aber ich glaube, es hat viel für sie bedeutet«. »Ich wusste nicht, daß Sterben so leicht sein kann«, sagt Christl (Christof) Propst. Und dann: »In wenigen Minuten sehen wir uns in der Ewigkeit wieder«.
Dann wurden sie abgeführt, zuerst das Mädchen. Sie ging, ohne mit der Wimper zu zucken. Wir konnten alle nicht begreifen, daß so etwas möglich war. Der Scharfrichter sagte, so habe er noch niemanden sterben sehen. Und Hans, ehe er sein Haupt auf den Block legte, rief laut, daß es durch das ganze Gefängnis hallte: »Es lebe die Freiheit« (I. Aicher-Scholl, S. 64).

Widerstehen aus der Macht des Geistes

Woher nahmen Hans und Sophie Scholl und ihre Freunde die Kraft zum Widerstand gegen das verbrecherische NS-Regime? In seiner Bildmonographie »Die weiße Rose« beschreibt Harald Steffahn sehr differenziert den Zusammenhang von Glauben und Politik, jene Macht des Geistes, aus dem heraus die Geschwister Scholl gegen den Nationalsozialismus protestierten und sich massiv auflehnten.
Hans Scholl
Foto: © Stadtarchiv Crailsheim, Sammlung Hartnagel
Eine anfängliche Begeisterung der beiden für das Gemeinschaftserlebnis in der Hitlerjugend schlug bald um in offene Kritik. »Es muß ein sichtbares Zeichen des Widerstandes von Christen gesetzt werden. Sollten wir am Ende dieses Krieges mit leeren Händen vor der Frage stehen: Was habt ihr getan?«
(Hans Scholl, zitiert von H. Steffahn, Reinbek bei Hamburg 1992, S. 65). Gegen eine mörderische Gleichgültigkeit, gegen Resignation und Apathie setzte Hans Scholl entschlossenes politisches Engagement und Handeln.
Im Flugblatt II der Weißen Rose werden die scheußlichen, menschenunwüdigen Verbrechen des NS-Regimes offen angeprangert, so die Ermordung von 300.000 polnischen Juden. Gegen diese Diktatur des Bösen, gegen diese »Ausgeburt der Hölle« (Flugblatt III) ist entschlossener Kampf angesagt.
»Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen; die Weiße Rose läßt euch keine Ruhe!« (Flugblatt IV).

Christoph Probst
Foto: © Privatbesitz (Gedenkstätte Deutscher Widerstand)

Sophie Scholl
Foto: © Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Zwei Tage vor ihrer Verhaftung kann Sophie Scholl sagen: »Es fallen so viele Menschen für dieses Regime. Es wird Zeit, daß jemand dagegen fällt«. Dagegen fallen - widerstehen - aus der Macht des Geistes - Denken und Handeln von Hans und Sophie Scholl und ihrer Freunde im studentischen Widerstand waren geprägt von einer Sinnesweise, "die den Anlaß zum Handeln dem intensiven Erleben der politischen Realität entnahm, ihre Maßstäbe für Gut und Böse indes aus Gesetzen ableitete, die etwas älter waren als das Tausendjährige Reich. Christliche Botschaft und Politik waren, zumindest für die jungen Scholls, ein Denk- und Tat-Zusammenhang, ein Sowohl-als-Auch. Politik - ja, aber eben anteilig" (H. Steffahn, S. 620.)

Hinterlassene Tagebuch-Aufzeichnungen und Briefe von Hans und Sophie Scholl zeigen, wie intensiv sich beide mit dem Christentum und dem christlichen Glauben auseinandergesetzt haben. Für Hans Scholl wurde die Begegnung mit dem katholischen Publizisten Carl Muth prägend, dessen kritische Zeitschrift "Hochland" von den Nazis verboten worden war. Bei der Lektüre moderner französischer Dichter, Philosophen und Theologen begegnet Hans Scholl ein überraschend lebendiges Christentum. »Die Heilige Schrift bekam eine neue, überraschende Bedeutung: Aktualität brach durch die alten, scheinbar verdorrten Worte und gab ihnen das Gewicht des Überzeugenden«
(I. Aicher-Scholl, S. 23).

Zwei Tage vor ihrer Verhaftung schreibt Hans Scholl an Rose Nägele (16.02.43): "... weil ich die Gefahr selbst gewählt habe, muß ich frei, ohne Bindung, dorthinsteuern, wo ich es haben will. Irrwege bin ich schon oft gegangen, und ich weiß es, Abgründe tun sich auf, tiefste Nacht umgibt mein suchendes Herz - aber ich stürze mich hinein. Wie groß ist das Wort Claudels: „La vie, c’est une grande aventure vers la lumiere“ (Das Leben ist ein großes Abenteuer zum Lichte hin)
(Hans Scholl, Sophie Scholl. Briefe, Aufzeichnungen, hrsg. von Inge Jens, Frankfurt 1984, S. 116).

Ehe Hans Scholl die Todeszelle im Palais Wittelsbach in München verließ, schrieb er mit Bleistift an die Wand: »Allen Gewalten zum Trutz sich erhalten.«

Sophie Scholl beginnt im Mai 1942 mit dem Studium der Biologie und Philosophie in München. Zuvor hatte sie im Frühjahr 1941 zwangsweise ein halbes Jahr Reichsarbeitsdienst in Krauchenwies bei Sigmaringen abgeleistet, anschließend ein halbes Jahr Kriegshilfsdienst in Blumberg. Der kasernenhafte Arbeitsdienst veranlaßt sie, über passiven Widerstand nachzudenken und ihn zu praktizieren. Über ihren Bruder Hans ergeben sich in München sehr bald Kontakte mit Schriftstellern, Philosophen und Künstlern, die für ihre Beschäftigung mit dem Christentum von Bedeutung werden, besonders Carl Muth und Theodor Haecker. In den Vordergrund tritt die Frage, wie sich der einzelne in einer Diktatur zu verhalten hat.
1942 muß Sophie Scholl während der Semesterferien zu einem Rüstungseinsatz in einen Ulmer Metallbetrieb, während ihr Vater gleichzeitig eine Haftstrafe wegen einer ablehnenden Bemerkung über Hitler gegenüber einer Angestellten abzubüßen hat. Beim aktiven Widerstand der Weißen Rose gegen das Nazi-Regime beteiligt sich Sophie Scholl ohne Einschränkung an der Herstellung und Verteilung der Flugblätter in verschiedenen süddeutschen und österreichischen Städten. Kurz vor ihrer Hinrichtung stellt Sophie Scholl Betrachtungen über ihren Tod an:
»So ein herrlicher, sonniger Tag, und ich soll gehen. Aber wieviele müssen heutzutage auf den Schlachtfeldern sterben, wieviel junges, hoffnungsvolles Leben ... Was liegt an meinem Tod, wenn durch unser Handeln Tausende von Menschen aufgerüttelt und geweckt werden«
(I. Aicher Scholl, S. 60).
Auf der Rückseite der Anklageschrift, die sich nach ihrer Hinrichtung in Sophies Zelle findet, steht das Wort "Freiheit".

»Das Böse dort angreifen, wo es am mächtigsten ist...«

Anfänglich waren beide Geschwister vom Nationalsozialsozialismus durchaus begeistert und hatten in der Hitler-Jugend und im Bund Deutscher Mädel Karriere gemacht.
Die Fahrten, die Bewertung von „Heimatliebe“, „Kameradschaft“, „Volksgemeinschaft“ und „Vaterland“ sprachen den 15-jährigen Hans und die 12-jährige Sophie in ihrer tiefen Naturverbundenheit und Heimatliebe an. Es waren nicht die Vorhaltungen des Vater, der Hitler mit dem Rattenfänger von Hameln verglich, die die Jugendlichen in zunehmend kritische Distanz zum Nationalsozialismus brachten, sondern die Erfahrungen der Beschneidung der eigenen Individualität: Das Verbot, russische und norwegische Volkslieder zur Gitarre zu singen; die Aufforderung, die selbstgenähte Phantasiefahne des Fähnleins abzugehen; das Verbot, Stefan Zweigs „Sternstunden der Menschheit" zu lesen; aber auch das rätselhafte Verschwinden eines jungen Lehrers, so wie "die Sache mit den Juden".
So entwickelte sich aus allmählich sich einstellenden Zweifeln schnell eine massive Ablehnung des NS-Regimes. lm Sommer 1942 nach dem großen Luftangriff auf Köln verteilten Alexander Schmorell und Hans Scholl erste Flugblätter, deren Gedanken alle um drei Themen kreisen:
Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft, Wiederherstellung persönlicher Freiheit und die Mitschuld der Deutschen an den Staatsverbrechen.
Bei allen Beteiligten der studentischen Widerstandsgruppe bestand kein Zweifel darüber, daß der totale Machtapparat des NS-Regimes nur mit Mitteln der Macht zu stürzen sei: »Wenn so eine Welle des Aufruhrs durch das Land geht, wenn es in der Luft liegt, wenn viele mitmachen, dann kann in einer letzten gewaltigen Anstrengung dieses System abgeschüttelt werden. Ein Ende mit Schrecken ist immer noch besser als ein Schrecken ohne Ende« (Flugblatt II).

In seinen Flugblatt-Aktionen wählte der Kreis der Weißen Rose für sich selbst den Weg der Aufklärung, um ein Bewußtsein über den wahren Charakter des Nationalsozialismus und der realen politischen Situation zu schaffen. Verbunden damit war der Aufruf zum passiven Widerstand:
»Jedes Wort, das aus Hitlers Mund kommt, ist Lüge. Wenn er Frieden sagt, meint er den Krieg, und wenn er in frevelhafter Weise den Namen des Allmächtigen nennt, meint er die Macht des Bösen, den gefallenen Engel, den Satan. (...) Wohl muß man mit rationalen Mitteln den Kampf wider den nationalsozialistischen Terrorstaat führen; wer aber heute noch an der realen Existenz der dämonischen Mächte zweifelt, hat den metaphysischen Hintergrund dieses Krieges bei weitem nicht begriffen. (...) Gibt es Dich, der Du ein Christ bist, gibt es in diesem Ringen um die Erhaltung Deiner höchsten Güter ein Zögern, ein Spiel mit Intrigen, ein Hinausschieben der Entscheidung in der Hoffnung, daß ein anderer die Waffe erhebt, um Dich zu verteidigen? Hat Dir nicht Gott selbst die Kraft und den Mut gegeben zu kämpfen. Wir müssen (kursiv im Original) das Böse dort angreifen, wo es am mächtigsten ist, und es ist am mächtigsten in der Macht Hitlers«

Die Kraft des Leides

Während der Semesterferien 1942 wurde die Münchner Studentenkompanie, der Hans angehörte, zur Front nach Rußland abkommandiert. In dieser Zeit gewinnt Hans durch die Erlebnisse an der Front und in den Lazaretten, aber auch bewegt durch die Weite und Schwermut des Landes an Reife und Tiefe in seinem Denken. Während dieser drei Monate wird der Vater inhaftiert. Hans schreibt an die Mutter: »Heute ist der Tag, an dem Vaters Haft beginnt. (...) Aber er wird diese Zeit überstehen. Weil er stark ist, wird er noch stärker aus der Gefangenschaft in die Freiheit treten. Ich glaube an die unermeßliche Kraft des Leides. Das echte Leid ist wie ein Bad, aus dem der Mensch neu geboren hervorgeht. (...) Wir wollen ihm nicht entrinnen, nicht bis an unser Ende. Wird nicht Christus stündlich tausendfach gekreuzigt?« (Brief vom 24.08.1942; Inge Jens, S. 107f).
Und in seinem Rußland-Tagebuch:
»Vielleicht wandere ich ein zweites Mal ins Gefängnis, vielleicht ein drittes und viertes Mal. Ein Gefängnis ist noch lange nicht das übelste, vielleicht ist es sogar etwas vom Besten. Vater wird dort vielleicht sein religiöses Erwachen finden. Ich hatte dort die Liebe gefunden, welcher der Tod folgen muß, weil Liebe umsonst verfließt, weil sie keinen Lohn haben kann. Hier sterben täglich zehn, das ist noch nicht viel, und es wird kein Aufhebens davon gemacht.
Wieviel Blumen werden achtlos zertreten? Wird nicht Christus stündlich hundertfach gekreuzigt? Und doch blühen Kinder auf, unaufhaltsam, wie junge Birken, zart, mit glänzenden Augen? (...) Wenn nicht Christus gelebt hätte und nicht gestorben wäre, gäbe es wirklich gar keinen Ausweg. Dann müßte alles Weinen grauenhaft sinnlos sein. Dann müßte man mit dem Kopf gegen die nächste Mauer rennen und sich den Schädel zertrümmern. So aber nicht« (Tagebucheintrag vom 28. 8. 1942; Inge Jens, S. 127f)

Parallel mit der Entwicklung ihrer politischen Autonomie vollzog sich bei beiden Geschwistern ihr Zugang zum Christentum. Durch Freunde wie den Hochland-Herausgeber Carl Muth, den Publizisten Theodor Haecker und Professor Kurt Huber hatten sie Teil an dem existenzphilosophischen Diskurs um Kierkegaard, Augustinus und Pascal. Sophie trennt sich auch nicht im Arbeitsdienst von ihrem Augustinus-Band, als der Besitz eigener Bücher verboten war.
In ihrem Tagebuch schreibt sie:
»Wie ein dürrer Sand ist meine Seele, wenn ich zu Dir beten möchte, nichts anderes fühlend als ihre eigene Unfruchtbarkeit. Mein Gott, verwandle Du diesen Boden in eine gute Erde, damit Dein Samen nicht umsonst in sie falle, wenigstens lasse auf ihr die Sehnsucht wachsen nach Dir, ihrem Schöpfer, den sie so oft nicht mehr sehen will. Ich bitte Dich von ganzem Herzen, zu Dir rufe ich, 'Du', rufe ich, wenn ich auch nichts von Dir weiß, als daß in Dir allein mein Heil ist, wende Dich nicht von mir, wenn ich Dein Pochen nicht höre, öffne doch mein taubes Herz, mein taubes Herz, gib mir die Unruhe, damit ich hinfinden kann zu einer Ruhe, die lebendig ist in Dir. O, ich bin ohnmächtig, nimm Dich meiner an und tue mit mir nach Deinem guten Willen, ich bitte Dich, ich bitte Dich«
(Tagebuch 15.07.42, Inge Jens, S. 261).

Gestapo-Gefängnis München-Stadelheim, 22. Februar 1943, zwischen 16.00 und 17.00 Uhr:
Robert und Magdalena Scholl nehmen Abschied von ihren Kindern Hans und Sophie Scholl.

Sophie Scholl
Foto: © Weisse-Rose-Stiftung

Der Traum von Sophie Scholl

Über die letzten Stunden vor ihrer Hinrichtung berichtet die Schwester Inge: »Als Sophie nach ihrer letzten Nacht geweckt wird, erzählt sie, noch auf ihrem Lager sitzend, ihren Traum: »Ich trug an einem sonnigen Tag ein Kind in langem, weißen Kleid zur Taufe. Der Weg zur Kirche führte einen steilen Berg hinauf. Aber fest und sicher trug ich das Kind in meinen Armen. Da plötzlich war vor mir eine Gletscherspalte. Ich hatte gerade noch soviel Zeit, das Kind sicher auf der anderen Seite niederzulegen - dann stürzte ich in die Tiefe«. Sie versucht ihrer Mitgefangenen gleich den Traum zu erklären: »Das Kind ist unsere Idee, sie wird sich trotz aller Hindernisse durchsetzen. Wir durften Wegbereiter sein, müssen aber zuvor für sie sterben«
(Inge Aicher-Scholl, S. 60).

Am 23. Februar 1943 erschien in den »Münchener Neuesten Nachrichten« die Todesmeldung:
»Todesurteile wegen Vorbereitung zum Hochverrat LPM. Der Volksgerichtshof verurteilte am 22. Februar 1943 im Schwurgerichtssaal des Justizpalastes den 24 Jahre alten Hans Scholl, die 21 Jahre alte Sophie Scholl, beide aus München, und den 23 Jahre alten Christoph Probst, aus Aldrans bei Innsbruck, wegen Vorbereitung zum Hochverrat und wegen Feindbegünstigung zum Tode und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Das Urteil wurde am gleichen Tage vollstreckt. Die Verurteilten hatten sich als charakteristische Einzelgänger durch Beschmieren von Häusern mit staatsfeindlichen Aufforderungen und durch Verbreitung hochverräerischer Flugschriften an der Wehrkraft und den Widerstandsgeist des deutschen Volkes in schamloser Weise vergangen.
Angesichts des heroischen Kampfes des deutschen Volkes verdienen derartige verworfene Subjekte nichts anderes als den raschen und ehrlosen Tod.«


Weiterführende Literatur

Martin Weidenfelder: »Hans und Sophie Scholl und der Widerstandskampf der Weißen Rose«

Hermann Vinke: »Das kurze Leben der Sophie Scholl«, Ravensburger Taschenbuch 1986

Inge Scholl: »Die Weiße Rose« Erweiterte Neuausgabe, Frankfurt 1993, Fischer-Taschenbuch 11802 ISBN 3-596-11802-6

Inge Jens: »Hans Scholl, Sophie Scholl. Briefe, Aufzeichnungen«, Fischer-Verlag Frankfurt 1984.

Michael C. Schneider/ Winfried Süß: »Keine Volksgenossen. Studentischer Widerstand der Weißen Rose«,
hrsg. vom Rektoratskollegium der Ludwig- Maximilians Universität, Müchen 1993 ISBN 3-922480-08-X

Harald Steffahn: »Die Weiße Rose mit Selbtzeugnissen und Bilddokumenten«,
Reinbek bei Hamburg 1992, rororo Monographien 498.

Leisner, Barbara: 'Ich würde es genauso wieder machen'. Sophie Scholl, CON+LIST Taschenbuchverl., ISBN: 3-612-65059-9


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