Widerstehen aus der Macht des Geistes |
Die Geschwister Scholl und ihre Freunde im studentischen Widerstand hatten vom Sommer 1942
bis zu ihrer Verhaftung im Frühjahr 1943 sechs Flugblätter erstellt und verbreitet, in denen
sie zum Widerstand gegen den nationalsozialistischen Terror aufriefen.
So heißt es im Flugblatt VI, dem letzten Flugblatt, das von Prof. Kurt Huber verfaßt wurde:
»Freiheit und Ehre! Zehn lange Jahre haben Hitler und seine Genossen die beiden
herrlichen deutschen Worte bis zum Ekel ausgequetscht, abgedroschen, verdreht, wie es nur
Dilettanten vermögen, die die höchsten Werte einer Nation vor die Säue werfen.
Was ihnen Freiheit und Ehre gilt, das haben sie in zehn Jahren der Zerstörung
aller materiellen und geistigen Freiheit, aller sittlichen Substanz im deutschen Volk genügsam
gezeigt... Studentinnen! Studenten! Auf uns sieht das deutsche Volk! Von uns erwartet es, wie 1813
die Brechung des Napoleonischen, so 1943 die Brechung des nationalsozialistischen Terrors aus
der Macht des Geistes.«
Für ihre Überzeugung waren Hans und Sophie und die anderen Mitglieder
der Widerstandsgruppe »Weiße Rose« bereit, ihr Leben zu opfern.
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Kurz vor ihrer Hinrichtung werden Sophie Scholl, Hans Scholl und
Christof Probst durch Vermittlung der Gefängniswärter noch einmal zusammengeführt.
Gemeinsam rauchen sie ihre letzte Zigarette.
»Es waren nur ein paar Minuten, aber ich glaube, es hat viel für sie bedeutet«.
»Ich wusste nicht, daß Sterben so leicht sein kann«, sagt Christl (Christof) Propst.
Und dann: »In wenigen Minuten sehen wir uns in der Ewigkeit wieder«.
Dann wurden sie abgeführt, zuerst das Mädchen. Sie ging, ohne mit der Wimper zu zucken.
Wir konnten alle nicht begreifen, daß so etwas möglich war. Der Scharfrichter sagte,
so habe er noch niemanden sterben sehen. Und Hans, ehe er sein Haupt auf den Block legte,
rief laut, daß es durch das ganze Gefängnis hallte: »Es lebe
die Freiheit« (I. Aicher-Scholl, S. 64).
Widerstehen aus der Macht des GeistesWoher nahmen Hans und Sophie Scholl und ihre Freunde die Kraft zum Widerstand gegen das verbrecherische NS-Regime? In seiner Bildmonographie »Die weiße Rose« beschreibt Harald Steffahn sehr differenziert den Zusammenhang von Glauben und Politik, jene Macht des Geistes, aus dem heraus die Geschwister Scholl gegen den Nationalsozialismus protestierten und sich massiv auflehnten. |
»Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen; die Weiße Rose läßt euch keine Ruhe!« (Flugblatt IV). |
Zwei Tage vor ihrer Verhaftung kann Sophie Scholl sagen: »Es fallen so viele Menschen für dieses Regime. Es wird Zeit, daß jemand dagegen fällt«. Dagegen fallen - widerstehen - aus der Macht des Geistes - Denken und Handeln von Hans und Sophie Scholl und ihrer Freunde im studentischen Widerstand waren geprägt von einer Sinnesweise, "die den Anlaß zum Handeln dem intensiven Erleben der politischen Realität entnahm, ihre Maßstäbe für Gut und Böse indes aus Gesetzen ableitete, die etwas älter waren als das Tausendjährige Reich. Christliche Botschaft und Politik waren, zumindest für die jungen Scholls, ein Denk- und Tat-Zusammenhang, ein Sowohl-als-Auch. Politik - ja, aber eben anteilig" (H. Steffahn, S. 620.) |
Hinterlassene Tagebuch-Aufzeichnungen und Briefe von Hans und Sophie Scholl
zeigen, wie intensiv sich beide mit dem Christentum und dem christlichen Glauben
auseinandergesetzt haben. Für Hans Scholl wurde die Begegnung mit dem katholischen
Publizisten Carl Muth prägend, dessen kritische Zeitschrift "Hochland"
von den Nazis verboten worden war. Bei der Lektüre moderner französischer
Dichter, Philosophen und Theologen begegnet Hans Scholl ein überraschend lebendiges
Christentum. »Die Heilige Schrift bekam eine neue, überraschende Bedeutung:
Aktualität brach durch die alten, scheinbar verdorrten Worte und gab ihnen das Gewicht des
Überzeugenden«
(I. Aicher-Scholl, S. 23).
Zwei Tage vor ihrer Verhaftung schreibt Hans Scholl an Rose Nägele (16.02.43):
"... weil ich die Gefahr selbst gewählt habe, muß ich frei, ohne Bindung, dorthinsteuern,
wo ich es haben will. Irrwege bin ich schon oft gegangen, und ich weiß es,
Abgründe tun sich auf, tiefste Nacht umgibt mein suchendes Herz - aber ich stürze
mich hinein.
Wie groß ist das Wort Claudels: La vie, cest une grande aventure vers la
lumiere (Das Leben ist ein großes Abenteuer zum Lichte hin)
(Hans Scholl, Sophie Scholl. Briefe, Aufzeichnungen, hrsg. von Inge Jens, Frankfurt
1984, S. 116).
Ehe Hans Scholl die Todeszelle im Palais Wittelsbach in München verließ, schrieb er mit Bleistift an die Wand: »Allen Gewalten zum Trutz sich erhalten.«
Sophie Scholl beginnt im Mai 1942 mit dem Studium der Biologie und Philosophie
in München. Zuvor hatte sie im Frühjahr 1941 zwangsweise ein halbes Jahr Reichsarbeitsdienst
in Krauchenwies bei Sigmaringen abgeleistet, anschließend ein halbes Jahr Kriegshilfsdienst
in Blumberg. Der kasernenhafte Arbeitsdienst veranlaßt sie, über passiven
Widerstand nachzudenken und ihn zu praktizieren.
Über ihren Bruder Hans ergeben sich in München sehr bald Kontakte mit Schriftstellern,
Philosophen und Künstlern, die für ihre Beschäftigung mit dem Christentum
von Bedeutung werden, besonders Carl Muth und Theodor Haecker. In den Vordergrund
tritt die Frage, wie sich der einzelne in einer Diktatur zu verhalten hat.
1942 muß Sophie Scholl während der Semesterferien zu einem Rüstungseinsatz
in einen Ulmer Metallbetrieb, während ihr Vater gleichzeitig eine Haftstrafe wegen einer
ablehnenden Bemerkung über Hitler gegenüber einer Angestellten abzubüßen
hat. Beim aktiven Widerstand der Weißen Rose gegen das Nazi-Regime beteiligt sich Sophie Scholl
ohne Einschränkung an der Herstellung und Verteilung der Flugblätter in verschiedenen
süddeutschen und österreichischen Städten.
Kurz vor ihrer Hinrichtung stellt Sophie Scholl Betrachtungen über ihren Tod an:
»So ein herrlicher, sonniger Tag, und ich soll gehen. Aber wieviele müssen
heutzutage auf den Schlachtfeldern sterben, wieviel junges, hoffnungsvolles Leben
... Was liegt an meinem Tod, wenn durch unser Handeln Tausende von Menschen
aufgerüttelt und geweckt werden«
(I. Aicher Scholl, S. 60).
Auf der Rückseite der Anklageschrift, die sich nach ihrer Hinrichtung in Sophies
Zelle findet, steht das Wort "Freiheit".
In seinen Flugblatt-Aktionen wählte der Kreis der Weißen Rose
für sich selbst den Weg der Aufklärung, um ein Bewußtsein über
den wahren Charakter des Nationalsozialismus und der realen politischen Situation
zu schaffen. Verbunden damit war der Aufruf zum passiven Widerstand:
»Jedes Wort, das aus Hitlers Mund kommt, ist Lüge.
Wenn er Frieden sagt, meint er den Krieg, und wenn er in frevelhafter Weise
den Namen des Allmächtigen nennt, meint er die Macht des Bösen,
den gefallenen Engel, den Satan. (...) Wohl muß man mit rationalen Mitteln
den Kampf wider den nationalsozialistischen Terrorstaat führen; wer
aber heute noch an der realen Existenz der dämonischen Mächte zweifelt, hat
den metaphysischen Hintergrund dieses Krieges bei weitem nicht begriffen. (...) Gibt es Dich,
der Du ein Christ bist, gibt es in diesem Ringen um die Erhaltung Deiner höchsten
Güter ein Zögern, ein Spiel mit Intrigen, ein Hinausschieben der
Entscheidung in der Hoffnung, daß ein anderer die Waffe erhebt, um Dich zu
verteidigen? Hat Dir nicht Gott selbst die Kraft und den Mut gegeben zu kämpfen.
Wir müssen (kursiv im Original) das Böse dort angreifen, wo es am
mächtigsten ist, und es ist am mächtigsten in der Macht Hitlers«
Parallel mit der Entwicklung ihrer politischen Autonomie vollzog sich bei beiden Geschwistern ihr
Zugang zum Christentum. Durch Freunde wie den Hochland-Herausgeber Carl Muth, den Publizisten
Theodor Haecker und Professor Kurt Huber hatten sie Teil an dem existenzphilosophischen Diskurs
um Kierkegaard, Augustinus und Pascal. Sophie trennt sich auch nicht im Arbeitsdienst von ihrem
Augustinus-Band, als der Besitz eigener Bücher verboten war.
In ihrem Tagebuch schreibt sie:
»Wie ein dürrer Sand ist meine Seele, wenn ich zu Dir beten möchte, nichts anderes
fühlend als ihre eigene Unfruchtbarkeit. Mein Gott, verwandle Du diesen Boden in eine gute Erde,
damit Dein Samen nicht umsonst in sie falle, wenigstens lasse auf ihr die Sehnsucht wachsen nach Dir,
ihrem Schöpfer, den sie so oft nicht mehr sehen will. Ich bitte Dich von ganzem Herzen,
zu Dir rufe ich, 'Du', rufe ich, wenn ich auch nichts von Dir weiß, als daß
in Dir allein mein Heil ist, wende Dich nicht von mir, wenn ich Dein Pochen nicht höre,
öffne doch mein taubes Herz, mein taubes Herz, gib mir die Unruhe, damit ich hinfinden
kann zu einer Ruhe, die lebendig ist in Dir. O, ich bin ohnmächtig, nimm Dich meiner an
und tue mit mir nach Deinem guten Willen, ich bitte Dich, ich bitte Dich«
(Tagebuch 15.07.42, Inge Jens, S. 261).
Gestapo-Gefängnis München-Stadelheim, 22. Februar 1943, zwischen 16.00 und
17.00 Uhr:
Robert und Magdalena Scholl nehmen Abschied von ihren Kindern Hans und Sophie Scholl.
Der Traum von Sophie SchollÜber die letzten Stunden vor ihrer Hinrichtung berichtet die Schwester Inge: »Als Sophie nach ihrer letzten Nacht geweckt wird, erzählt sie, noch auf ihrem Lager sitzend, ihren Traum: »Ich trug an einem sonnigen Tag ein Kind in langem, weißen Kleid zur Taufe. Der Weg zur Kirche führte einen steilen Berg hinauf. Aber fest und sicher trug ich das Kind in meinen Armen. Da plötzlich war vor mir eine Gletscherspalte. Ich hatte gerade noch soviel Zeit, das Kind sicher auf der anderen Seite niederzulegen - dann stürzte ich in die Tiefe«. Sie versucht ihrer Mitgefangenen gleich den Traum zu erklären: »Das Kind ist unsere Idee, sie wird sich trotz aller Hindernisse durchsetzen. Wir durften Wegbereiter sein, müssen aber zuvor für sie sterben«(Inge Aicher-Scholl, S. 60). Am 23. Februar 1943 erschien in den »Münchener Neuesten Nachrichten« die Todesmeldung:
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Martin Weidenfelder: »Hans und Sophie Scholl und der Widerstandskampf der Weißen Rose«
Hermann Vinke: »Das kurze Leben der Sophie Scholl«, Ravensburger Taschenbuch 1986
Inge Scholl: »Die Weiße Rose« Erweiterte Neuausgabe, Frankfurt 1993, Fischer-Taschenbuch 11802 ISBN 3-596-11802-6
Inge Jens: »Hans Scholl, Sophie Scholl. Briefe, Aufzeichnungen«, Fischer-Verlag Frankfurt 1984.
Michael C. Schneider/ Winfried Süß: »Keine Volksgenossen. Studentischer Widerstand der
Weißen Rose«,
hrsg. vom Rektoratskollegium der Ludwig- Maximilians Universität, Müchen 1993 ISBN 3-922480-08-X
Harald Steffahn: »Die Weiße Rose mit Selbtzeugnissen und Bilddokumenten«,
Reinbek bei Hamburg 1992, rororo Monographien 498.
Leisner, Barbara: 'Ich würde es genauso wieder machen'. Sophie Scholl, CON+LIST Taschenbuchverl., ISBN: 3-612-65059-9